Matthias Reichelt und Yury Kharchenko Interview, 2024

In deiner Malerei hast du Dich auch mit deiner Familie beschäftigt, sie trägt teils starke autobiografische Züge

Dass die Biografie in die künstlerische Arbeit einfließen kann, ist kein Geheimnis. Bei mir ist es z.B. die Namensänderung meines Großvaters, der seinen jüdischen Namen Grynszpan wegen des Nationalsozialismus gegen einen typisch ukrainischen Namen „Kharchenko“ gewechselt hat, als er in die Rote Armee einberufen wurde.

Dein Werk besteht aus verschiedene Gruppen: Sterne-Bilder, Porträts bekannter jüdischer Persönlichkeiten und außerdem Gemälde, in denen du Auschwitz provokant mit popkulturellen Figuren wie Dagobert Duck, Beavis und Butthead oder Superman verknüpfst.

Ja, es sind verschiedene Stränge, und da gibt es auch diese Hausbilder mit fließenden Strukturen. Höhlen, die wie Häuser aussehen, später wurden daraus zeltartige Formen mit herunterfließenden Ölfarben, die auf pastose und lasierende Strukturen treffen und transzendent wirken sowie auch Portraits in der ähnlichen Art.

Haus als ein Ort von Schutzraum?

Das kann man als eine Art Schutzraum, eine Hülle sehen. Aber es geht auch um die Möglichkeiten der Malerei. Das ist spirituell und transzendent und etwas ganz anderes als zum Beispiel die neueren Arbeiten zu den Superhelden vor dem Auschwitz- oder Birkenau-Tor oder der Problematik mit der Notwendigkeit, das Barbarische darzustellen und gleichzeitig Phänomene der Kommerzialisierung der Erinnerungskultur zu kritisieren. Mein Werk ist breit angelegt und ich bin gegen eine Tendenz in der heutigen Kunstwelt, das Sujet wie eine Konsum-Marke zu reproduzieren. Ich finde das reaktionär und sehe mich ganz und gar nicht in dieser Tradition. Leider befindet sich die Kunstwelt heute in einem „Konsum – Marke – Fetischismus“.

Ich schaue hier auf Portraits von Fritz Bauer, Paul Celan Moshe Dayan, Anne Frank, Ben Gurion, Franz Kafka. Sind das für dich Deine jüdischen Helden?

Ich habe mit dieser als Installation gedachten Serie auf die von Netanjahu und Anteilen der rechtsradikalen Regierung betriebene Justizreform in Israel reagiert. Ich habe mich gefragt, mit wem ich mich als Jude überhaupt identifiziere?

Wenn du den Universalismus anführst, ist er nicht Teil des Judentums einerseits und andererseits auch eine Auflösung von Religion jeglicher Herkunft, verbunden mit dem Gedanken der Gleichheit aller?

Emmanuel Lévinas hat sich in seiner Philosophie mit der Thora und dem Talmud beschäftigt, hat sich damit aber nicht als Jude in einem „Universalismus“ aufgelöst, ist für mich aber trotzdem als universalistischer Denker. Ähnliches gilt für den Psychiater Viktor Frankl, den Philosophen Jacques Derrida und die abstrakten Maler Mark Rothko oder Barnett Newman.

Sei ein Mensch.

Ja gut, das ist auch irgendwie ein Klischee. Was bedeutet Mensch sein?

Was mich interessiert ist die Figur des Abraham als der Urvater der Juden. Der hat ja nach einem unsichtbaren Gott gesucht, als er seine Familie verlassen hat, die Götzendiener waren. Die Thora oder das Judentum sind stark auf Suche und Debattenkultur ausgerichtet. Es gibt dort keine starre Verfestigung, Gott muss immer erst entdeckt werden. Odysseus ist ein Synonym für Abraham aus meiner Sicht.

Kommen wir zu deinen Bildern, in denen du Auschwitz mit popkulturellen Figuren kombinierst.

Ich komme aus einer Familie, in der die Großeltern den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg überlebt haben, nicht nur als Opfer, sondern auch als Helden. Ich kann mein Leben auch als ein Wunder betrachten. Für mich werden meine Großväter immer mehr zu Superhelden in meinem Kopf. Beide waren ja in der Roten Armee und an den schlimmsten Kämpfen von Stalingrad bis Berlin beteiligt. Die haben ja die Welt von Nazismus und der Diktatur befreit. Dass die überlebt haben, ist ein großes Glück! Und ich bin die Weiterführung dieses Glücks. Gleichzeitig beobachte ich, wie der Holocaust für bestimmte politische Denkmuster in der „Erinnerungskultur missbraucht“ und kommerzialisiert wird. Ich setze diese Worte in Anführungsstrichen, weil die Neonazis und Judenhasser behaupten, die Juden würden die Erinnerungskultur nutzen, um „davon zu profitieren“. Ich sehe die dringliche und unabdingbare Notwendigkeit über Holocaust zu erinnern und die Deutschen so hart wie möglich mit Ihrer Verantwortung zu konfrontieren – wir sehen gerade jetzt, wie offen der Antisemitismus von rechten Bio-Deutschen und einigen Linken, die sich auf Postkolonialismus und Wokismus beziehen, ausgetragen wird.

Es gibt ja den sarkastischen Bonmot “There is no business like Shoah business”, abgeleitet von Showbusiness.

Ich habe das Bild mit Jurassic Park nach Steven Spielbergs Film gemalt mit einem Dino unter dem Tor mit „Welcome to Jewish Museum“ wie „Arbeit macht frei“ in Auschwitz. Theodor Adorno meinte, dass nach Auschwitz kein Gedicht mehr geschrieben werden könne und hat das später widerrufen, denn man muss das Leid zum Ausdruck bringen. In Claude Lanzmanns Film werden die Gräuel „nur“ erzählt während Steven Spielberg in Schindlers Liste eine Gaskammerszene zeigt. Für mich aber bleibt Lanzmanns Methode eine eher authentischere. Da aber die meisten Holocaust Zeitzeugen tot sind und wir wieder in gefährlichen Zeiten leben, ist Lanzmanns Methode nur bedingt möglich, nur anwendbar auf heutige Barbareien. Wie kann man die Unmöglichkeit der Verbildlichung des Holocausts und unserer heutigen Kriege ausdrücken? Ich habe eine pornografische Szene mit dem Schneewittchen und dem Zwerg mit erigiertem riesigen Penis vor Birkenau und blutrotem Sowjetstern gemalt, um die Unvorstellbarkeit des Zivilisationsbruchs und unvorstellbarer menschlicher Barbarei wie auch den Bruch mit allem was zivilisatorisch gegolten hat, zu verbildlichen. Damit kritisiere ich auch die Kommerzialisierung des Themas als Blockbuster, gleichzeitig aber auch auf die Verbrechen der UdSSR und des heutigen Russlands.

Ich würde gerne noch mal auf deinen Großvater zurückkommen, den du in Superman-Kostüm gemalt hast.

Nicht die US-Army hat Auschwitz befreit, sondern die Rote Armee, in der über 700.000 jüdische Soldatinnen und Soldaten gekämpft haben und viele kamen als Kontigentflüchtlinge nach Deutschland, wie auch meine Großväter. Das haben viele vergessen. Die Menschen in der Roten Armee haben unser Leben ermöglicht. Meine säkularen Großväter zeige ich mit blutgetränkten Umhängen als Hinweis auf das Erbe der Sowjetunion und das totalitaristische Regime mit seinen stalinistischen Säuberungen. Der Vater meines Großvaters wurde im Gulag als „Feind des Volkes“ erschossen und die andere Familie von den Nazis umgebracht.

Es gibt Bilder, die nur Sterne zeigen und dann welche, in denen die Sterne sich fast auflösen, mit dem Hintergrund verschmelzen und nahezu in abstrakte Malerei münden.

Ich wollte die David-Sterne von der dogmatischen Bedeutung zu lösen. Sie werden oft instrumentalisiert für politische Aussagen und nur auf eine inhaltliche Bedeutung reduziert, sei es Holocaust-Erinnerungen, Religion oder bezogen auf Israel. Sie spielen auch eine große Rolle in der Erinnerungskultur in Deutschland, jedoch oft nur als Aufhänger.

Würdest Du soweit gehen und von Verkitschen reden?

Ja so ähnlich wie mit dem christlichen Kreuz. Da komme ich auch wieder auf den Kunstmarkt zu sprechen. Wenn ich mit meinen Sternen – Bildern Erfolg haben wollte, dann müsste ich schlussendlich Tausende solcher Bilder malen, damit dann alle reichen Kunstsammler von China bis USA diese Bilder besitzen.

Deine Malerei ist für Dich eine Mittel des Diskurses und der Reflexion?

Auf jeden Fall und um das, was sich verfestigt hat aufzulösen, die Betrachter etwas zu verwirren und eigene Sichtweisen zu überprüfen.

Es ist also ein dialektischer Prozess, der bei Dir in der Malerei stattfindet und bei den Betrachtern und Betrachterinnen im Schauen.

Ja, ich stelle mich ja selber als Künstler und auch als Mensch in Frage. Ich wachse auch mit den Bildern.