Wolfgang Ullrich for ART MAGAZIN, 2025

Antisemitismus ist wieder allgegenwärtig, Rechtsextremismus kehrt hemmungslos zurück. Erinnerungen an die Zeit von Nationalsozialismus und Holocaust rücken damit unheimlich nah; dessen Symbole stehen nicht mehr nur für eine Vergangenheit, sondern erscheinen wie Menetekel.

Eines dieser Symbole ist die in ihrem menschenverachtenden Zynismus unüberbietbare Losung „Arbeit macht frei“, die am Lagertor in Auschwitz angebracht war. Sie bezieht sich auf den antisemitischen Topos, wonach Juden Arbeit fremd sei, sie nur als Parasiten lebten, und sie verhöhnt sie, da die einzige Freiheit, die es im KZ gab, der Tod war: Vergasung nach Zwangsarbeit.

Diese Losung innerhalb aktueller Auseinandersetzungen wieder aufzugreifen, ist selbst dann heikel, wenn man damit gegen alt-neue Inhumanität protestieren will. Denn schnell entsteht der Verdacht, dass der Schock-Faktor des Holocaust nur ausgenützt, dieser letztlich relativiert wird. Um zu provozieren, eignet sich hingegen kaum etwas besser, und da gerade Künstler gerne auf Provokation setzen, ist nicht verwunderlich, dass „Arbeit macht frei“ und Varianten davon in der zeitgenössischen Kunst immer wieder einmal auftauchen.

Der in Moskau geborene Yury Kharchenko kam 1998 als sogenannter jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und lebt nun in Berlin. Seine schier unglaubliche Familiengeschichte wurde in den letzten Jahren verstärkt Thema seiner Gemälde. Eine zentrale Rolle nimmt dabei einer seiner Großväter ein, der als Soldat der Roten Armee an der Befreiung von Auschwitz mitwirkte, wo Teile seiner Familie ermordet worden waren. Ein Urgroßvater wurde dagegen Opfer des sowjetischen Gulags, und ein anderer Zweig der Familie ist mutmaßlich mit Herschel Grynszpan verwandt, dessen 1938 auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath verübtes Attentat den Nazis als Anlass für die Reichspogromnacht diente.

„Arbeit macht frei“ taucht auf mehreren Bildern Kharchenkos auf, jüngst auf einem Gemälde mit dem Titel „From Auschwitz to Israel-Gaza-War“. Die Lager-Inschrift schwebt hier in einem nächtlich-schwarzen Raum, ja über einem bedrohlichen Abgrund, in dessen Niederungen es zu brennen scheint. Ein Flugsaurier schwingt sich durch die Luft, mit aufgerissenem Maul und starr-weißem Auge wirkt er wie ein Todesbote. Aber warum gerade ein Saurier? Kharchenko selbst liefert dafür eine doppelte Deutung. Zum einen beklagt er, dass der Holocaust heute vielen gleichermaßen weit weg erscheint wie die Zeit der Dinosaurier, Gedenkstätten daher genauso zum touristischen Spektakel verkommen wie Freizeitparks. Zum anderen erkennt er im Antisemitismus den Dinosaurier unter den Ressentiments: uralt und als Stoff für starke Fiktionalisierungen unausrottbar. Deshalb endet die Geschichte der Judenverfolgung auch nicht 1945, erlebt vielmehr im Nahostkonflikt eine neue grausame Etappe. Dass die israelische und die palästinensische Flagge auf Kharchenkos Bild über der Auschwitz-Losung wehen, soll die Kontinuität zwischen aktuellen und früheren Formen von Antisemitismus bewusstmachen.

Da Kharchenko selbst auch schon – verbal sowie körperlich – antisemitisch angegriffen wurde, haben seine autobiografisch-historischen Bilder zudem den Charakter von Widerstandsgesten. Damit nähern sie sich Gemälden von Hermann Josef Hack an, der seit einigen Jahren gegen das Erstarken des Rechtsextremismus protestiert und dabei jene Nazi-Losung umkehrt: „Freiheit macht Arbeit“ steht bei ihm auf großformatigen Bildern, in aktivistischer Manier auf Planen gemalt, manchmal sogar zusammen mit Schülern als Banner für Demos angefertigt.

Die Mahnung, dass Demokratie nicht umsonst zu bekommen ist, sondern Einsatz – eben Arbeit – verlangt, bekräftigt Hack mit einer symbolhaft-kräftigen Bildsprache. Bei einer Variante des Motivs aus dem Jahr 2023 stehen im unteren Bereich Menschen eng beisammen, sind aber voneinander abgeschirmt, da sie alle Kopfhörer aufhaben. Offenbar lässt sich die Masse berieseln und ist Manipulationen ausgesetzt, setzt sich also gerade nicht aktiv für die Freiheit ein. Und vielleicht wirken die Köpfe auch deshalb wie die von Toten. Über sie erhebt sich eine große Figur, die Arme engagiert ausgebreitet, um den „Freiheit macht Arbeit“-Spruch zu präsentieren, den sie zugleich laut zu rufen scheint. In sie eingeschrieben sind jedoch zwei kleinere schwarze Figuren, Dämonen oder Dunkelmänner, die ihrerseits die Freiheit bedrohen. Und im Hintergrund ist zu sehen, was diese akut gefährdet: eine sterbende Natur und abstürzende Flugzeuge, die aber wenigstens zum Teil durch Fallschirme aufgefangen werden. Angst und Hoffnung sind daher gleichermaßen vorhanden; noch ist über die Zukunft der Freiheit nicht entschieden.

Sowohl Kharchenko als auch Hack verzichten auf einen expliziten Auschwitz-Vergleich, doch so, wie sie den Holocaust neu vergegenwärtigen, verdeutlichen sie höchst eindringlich, dass eine Rückkehr der Barbarei nie auszuschließen ist. Und so kann die mit ihrer Motivwahl verbundene Provokation zum Anstoß werden, mehr Gegenwehr zu mobilisieren.

1 Zu all diesen Angaben vgl. Yury Kharchenko. Painting 2018-2023, München 2023, S. 8-17.

2 Vgl. ebd., S. 94.

3 Vgl. https://www.tenoua.org/yury-kharchenko-toute-cette-souffrance-affecte-profondement-ma-peinture/.

4 Vgl. https://www.tenoua.org/yury-kharchenko-allemagne/