Wolfgang Ullrich for ART MAGAZIN, 2025

Antisemitismus ist wieder allgegenwärtig, Rechtsextremismus kehrt hemmungslos zurück. Erinnerungen an die Zeit von Nationalsozialismus und Holocaust rücken damit unheimlich nah; dessen Symbole stehen nicht mehr nur für eine Vergangenheit, sondern erscheinen wie Menetekel.

Eines dieser Symbole ist die in ihrem menschenverachtenden Zynismus unüberbietbare Losung „Arbeit macht frei“, die am Lagertor in Auschwitz angebracht war. Sie bezieht sich auf den antisemitischen Topos, wonach Juden Arbeit fremd sei, sie nur als Parasiten lebten, und sie verhöhnt sie, da die einzige Freiheit, die es im KZ gab, der Tod war: Vergasung nach Zwangsarbeit.

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Eckhart Gillen im Gespräch mit Yury Kharchenko, 2024

Eckhart Gillen: Sprechen wir über Ihre drei neuen großformatigen Bilder der letzten vier Monate, die nach der Hamas-Attacke auf israelische Kibbuzim am 7. Oktober 2023 entstanden sind. Jean Amery machte in den 70er Jahren in seinem Buch »Der neue Antisemitismus« auf den Kampfbegriff »Unrechtsstaat Israel« aufmerksam: »Schlagt die Zionisten tot, macht die Zionisten rot«. In diesem Kampfruf schwingt das »Juda verrecke« der Nazis mit. Worauf wollen Sie in diesem Bild hinaus, wenn über Jean Amerys Bildnis eine auschwitzähnliche Torüberschrift schwingt, auf der der allzu bekannte Slogan zu sehen ist: »From the River to the Sea, Palestine will be free?«

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Matthias Reichelt und Yury Kharchenko Interview, 2024

In deiner Malerei hast du Dich auch mit deiner Familie beschäftigt, sie trägt teils starke autobiografische Züge

Dass die Biografie in die künstlerische Arbeit einfließen kann, ist kein Geheimnis. Bei mir ist es z.B. die Namensänderung meines Großvaters, der seinen jüdischen Namen Grynszpan wegen des Nationalsozialismus gegen einen typisch ukrainischen Namen „Kharchenko“ gewechselt hat, als er in die Rote Armee einberufen wurde.

Dein Werk besteht aus verschiedene Gruppen: Sterne-Bilder, Porträts bekannter jüdischer Persönlichkeiten und außerdem Gemälde, in denen du Auschwitz provokant mit popkulturellen Figuren wie Dagobert Duck, Beavis und Butthead oder Superman verknüpfst.

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Marcus Steinweg, 2021

PHILOSOPHISCHE MALEREI zu Yury Kharchenko

 

Sucht man ein philosophisches Denken zu verstehen, muss man den Punkt des ihm inhärenten Schreckens aufsuchen. Als untersuche man einen funktionierenden Organismus unter Zuhilfenahme aller möglichen Instrumente, um seine wunde Stelle auszumachen, den Inkonsistenzpunkt des Systems. System nennen wir die Einheit eines Funktionszusammenhangs, die sich der Ausblendung eben dieses Punkts verdankt. Statt die ebenmäßigen Konturen dieses Zusammenhangs aufzuzeigen, sie zärtlich abzufahren, um die Legitimität und Plausibilität des Ganzen zu bekräftigen, bedeutet zu denken, sich seinen Schwachpunkten zuzuwenden, die ihm im Modus des Ausgeblendeten, Verneinten oder Verdrängten angehören, im Modus also dessen, worüber man ungern spricht.

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Micha Brumlik, 2020

Ein Akt der Barbarei? Yury Kharchenkos Bilder von Auschwitz
„Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben. “ So der nach Deutschland zurückgekehrte Theodor W. Adorno in einer 1951 veröffentlichten Festschrift für den Soziologen Leopold von Wiese. Jahre später – so schien es – widerrief Adorno: „Darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben.”  Jahre später analysierte der Regisseur und Theaterwissenschaftler Peter Stein die Debatte um dieses Zitat. Jahre später dann, in Adornos „Negativer Dialektik“ hiess es:
“Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen.”

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Helmut A. Müller, 2020

Yury Kharchenko, What Is Art?

Key Images and Cycles on Fundamental Questions of Life

Ten years ago, Yury Kharchenko would have answered the question as to what art is with great certainty with: ‘life, art is life’. And: ‘My life is art.’ Today, in contrast, he states that art is that which is experienced, sensed, felt, and foreseen in inner images. Art is nothing other than the reflection of life. In this respect, for him, all art is biographical. This is one of the reasons why he shares Andrei Tarkovsky’s answer to the same question and yet distances himself from it again.

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Kay Heymer, Director of Modern Art Department, Museum Kunstpalast Düsseldorf, 2020

Yury Kharchenko
New Steps

‘Fun is a chalybeate bath.’
Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialectic of Enlightenment

Over the past fifteen years, Yury Kharchenko has undergone a remarkable development, in which his painterly work has always been marked by existential questions and an attitude that extends further than our ever faster and more contradictory present. Yury Kharchenko reflects his Jewish identity, which influenced his youth in the final years of the Soviet Union as well as his upbringing and artistic education and life in Germany.

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